Beliebte Irrtümer im Strassenverkehrsrecht Teil 1: Pflichtwidriges Verhalten nach Verkehrsunfall mit Sachschaden

05.02.2020

Es ist ein alltägliches Ereignis im Strassenverkehr: Ich fahre aus einer Parklücke und touchiere dabei ein anderes Fahrzeug. Ein kleiner Kratzer entsteht, der Fahrzeughalter ist weit und breit nicht zu sehen. Genügt es, eine Visitenkarte hinter die Scheibe zu klemmen?

Nein, denn Art. 51 Abs. 3 SVG schreibt vor, dass der Schädiger den Geschädigten sofort zu benachrichtigen hat. Ist dies nicht möglich, muss die Polizei beigezogen werden. Das Hinterlassen einer Adresse reicht als Benachrichtigung nicht aus, denn dem Geschädigten wird dadurch die Möglichkeit genommen, im Beisein des Schädigers die jeweiligen Fahrzeugschäden zu begutachten und bei Unklarheiten die Polizei zu rufen.

Wer also nach einem Parkschaden nur seine Adresse hinterlässt, verstösst gegen Art. 51 Abs. 3 SVG und macht sich des pflichtwidrigen Verhaltens nach Verkehrsunfall schuldig. 

 Wie verhält es sich, wenn ich in der Nacht von der eisglatten Fahrbahn abkomme und einen Gartenzaun umfahre? Ich kenne den Besitzer des Zauns und habe vor, mich am nächsten Tag bei ihm zu melden, möchte ihn aber nicht mitten in der Nacht aus dem Bett klingeln. Darf ich bis zum nächsten Tag warten?

Nein, auch in diesem Fall muss ich die Polizei rufen, denn das Bundesgericht hat wiederholt bestätigt, dass "sofort" in Art. 51 Abs. 3 SVG wörtlich zu nehmen ist. Ein Zuwarten bis zum nächsten Tag ist - trotz allerbester Absichten - bereits als pflichtwidriges Verhalten zu bewerten. Ebenso verhält es sich, wenn das Gemeinwesen geschädigt wurde, was in der Regel immer dann der Fall ist, wenn Leitplanken, Begrenzungspfosten, Poller etc. beschädigt werden. Geschieht der Unfall ausserhalb der gewöhnlichen Büroöffnungszeiten oder ist nicht bekannt, wo die Meldung gemacht werden soll, muss die Polizei hinzugezogen werden.

Völlig belanglos ist übrigens, ob der Schaden CHF 50.-- oder 50'000-- beträgt, die Pflichten bleiben dieselben.

 Das pflichtwidrige Verhalten nach Verkehrsunfall mit Sachschaden ist eine Übertretung, welche mit einer Busse ohne Eintrag im Strafregister bestraft wird. Hinzu kommt die Bestrafung wegen der Verkehrsregelverletzung, welche zu dem eigentlichen Unfall geführt hat. In den genannten Beispielen dürfte dies entweder Unaufmerksamkeit oder Nichtbeherrschen des Fahrzeuges sein, was ebenfalls mit einer Übertretungsbusse bestraft wird.

Je nach Ausgangslage droht bei einem pflichtwidrigen Verhalten ein weiterer Vorwurf, nämlich die Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit. Darauf wird in einem separaten Artikel eingegangen

 

© Saskia August, Rechtsanwältin, 02/2020